Diskurs_am_See
Die Zeichnung erobert den Raum oder macht einen Raum.
Wir haben eingeladen zu unsere Arbeit „Interieur blanc“ und einem Diskurs. Da geht es schon los. Was heißt

„Interieur blanc“? Klingt französich – warum nicht deutsch? Und dann Diskurs? Was geht da ab?
Beginnen wir mit Diskurs. Diskurs heißt Erörterung. Ist ja interessant. Im Wort Erörterung steckt das Wort Ort (Örter als Mehrzahl von Ort) und das wiederum heißt in seiner alten Bedeutung „äußerstes Ende, Ecke, Rand, Grenze“.

Das kann ja heiter werden wenn wir bis an die Grenze gehen wollen. Die Grenze von was?

Was wir nicht machen werden: unsere Arbeit erörtern. Das geht nämlich nicht. Aber wir fahren mindestens zweigleisig: wir haben eine, wir dürfen schon sagen, langjährige, Arbeit, abgeschlossen ,die wir nun vorstellen und wir werden reden, zuhören und hoffentlich ins Gespräch kommen. Das allein sind schon zwei verschiedene Dinge, Reden und Betrachten, die jeweils andere Sinne von uns berühren, oder ansprechen.

Und wenn es ans Essen geht, kommen noch weitere Sinne ins Spiel.
Und es geht weiter. Mit „Interieur  blanc“ Wenn man Interieur blanc „googlet“, bekommt man viele links, die das Innenleben von Autos, Pferdetransportern, Designstühle und die Gestaltung von Innenräumen zum Inhalt haben. Interieur ist französisch und heißt auf deutsch inner, inwendig, Inland, Heim, Häuslichkeit, Innenansicht, Familienleben, im übertragenen Sinn das Innere, das Herz.

Und „blanc“? An dieser Stelle nur soviel: es bedeutet rein, sauber, weiß.
Kaum begonnen, tun sich schon viele Fragen auf.
Wieso reden, wo es doch ums wahrnehmen, betrachten einer Installation geht? Wieso französisch? Wieso hier?
Setzen wir unsere Überlegungen fort mit der letzten Frage: wieso hier?
Wir befinden uns hier in der Natur. Natur, die ewige Suche nach dem Paradies, nach einem Rückzugsort, nach Stille.
Trifft das hier zu? Auf diesen Ort? Nicht ganz. Was ist hier Natur? Der See entstand im Zusammenhang eines Straßenneubaus durch das Ausbaggern von Kies. das Grün ist größtenteils von Menschen gestaltet. Was wir hier sehen ist also alles Menschenwerk? Nicht ganz.  Der See ist mehr als des Nebenprodukt einer Straße. Er hat etwas geheimnisvolles, märchenhaftes. Hier herrschen andere Gesetze als die von Menschen gemachte. Hier können wir Wachstum, Wandel, Veränderung und Wiederkehr beobachten. Und, natürlich, der Himmel und das Wasser sind hier die Natur. An einem Wasserort zu sein, ist besonders spannend und hoffentlich inspirierend: denn Wasser hat auch eine spirituelle Bedeutung. Im Wasser verliert der Körper seine Schwere und seine Bodenständigkeit.

Uns hat es angeregt zu dieser Badeszene, die wir am Pavillon zeigen.
Gut. Verlassen wir die feinsinnigen Betrachtungen zu Mensch und Natur und einigen uns darauf: Wir sind draußen.

Oder irgendwie zwischen drinnen und draußen.
Zwischen intimem Privatsein und öffentlichem Allgemeinsein.

Diese einfache Unterscheidung zwischen privat und öffentlich ist ein altes Phänomen. Die alten Griechen der antiken StadtStaaten weisen das Private dem  Haushalt und der Familie zu, das Politische dem Öffentlichen Leben. Also auf der einen Seite Tätigkeiten, die der Erhaltung des Lebens dienen und auf der anderen Seite Tätigkeiten, die sich auf eine allen gemeinsame Welt richten. Das Private war der Ort der Heiligkeit, der Unantastbarkeit von Leben und Tod. Geschützt vor dem Licht der Öffentlichkeit wird hier geboren und gestorben. Ausdruck findet das im Eigentum. „Kein Eigentum zu haben hieß keinen angestammten Platz in der Welt sein eigen zu nennen, also jemand zu sein,

den die Welt und der in ihr organisierte politische Körper nicht vorgesehen hatte.
Das Zusammenleben im Haushalt war gekennzeichnet durch menschliche Bedürfnisse und Lebensnotwendigkeiten.

Alle Tätigkeiten hier hatten ihren Ursprung in der Notwendigkeit. Das ist nicht Freiheit.

Freiheit findet in der Öffentlichkeit statt. Hier wird entschieden, wie man leben will.

Im alten Griechenland was das Politische das Öffentliche und hochgeschätzt. Hier wurde etwas geschaffen, was über das Leben hinaus ging. Das Erwerbsleben dagegen war das Private. Reichtum hatte kein großes öffentliches Ansehen. Und so konnte ein Sklave, ein unfreier Mensch, unter günstigen Bedingungen durchaus reich sein und von hoher Bildung.
Bei den Römern sieht es dann etwas anders aus. Bei ihnen gehörte Pflege von Kunst und Wissenschaft zum Privatleben, Philosoph zu sein fand keine besondere Anerkennung (siehe Hannah Arendt in Raumtheorie S.425)
Das alles, also die Frage, was ist privat, was ist öffentlich, welche Bereiche sind ihnen zugeordnet und was bedeuten sie?

Das wird dann im Christentum deutlich anders. Politisches ist eine Last, wenn man sich engagiert, dann aus Nächstenliebe, um andere von der Last des Öffentlichen zu befreien. Die Hauptsache und die größte Hinwendung gehört dem Privaten. Man kümmert sich um das Eigene, das eigene Seelenheil und um die Familie.

Doch: Wer nur im Privaten lebt, der ist nicht wirklich verbunden mit anderen. Den gibt es eigentlich gar nicht. Er leistet nichts, was beständiger ist als das Leben.
So entstehen im Laufe unserer Geschichte Gesellschaften von Gläubigen, oder Gesellschaften von Eigentümern, oder von Produzenten, von Angestellten oder von Arbeitern. Heute ist es also weitaus komplizierter als zu Zeiten der alten Griechen. Wir sprechen von Gesellschaft und meinen eine gigantische Über-Familie, die das wirtschaftliche Überleben sichert und organisiert als Staat, als Europa.

Wie sieht es bei einer derart komplexen Öffentlichkeit mit dem Privaten aus? Gibt es noch das Private?,

den Privatmensch? Und wenn er sich zeigt, zieht er sich dann nicht bis auf die Knochen aus, um sich zu zeigen:

nackt, im Fernsehen oder im Radio?
 
Zumindest die eigenen vier Wände gelten immer noch als privat. Ein Schild an der Tür mit der Aufschrift „privat“ sagt mir, ich muss draußen bleiben.
Privat. Auf französisch: privée. Wir sind bei der Frage: wieso französisch?
In der Kunst gab es tatsächlich eine Richtung, die sich auf Themen des Privaten, der Intimsphäre, des Innenraums konzentrierte: der Intimismus, französisch: „intimisme“. Natürlich gibt es auch schon vorher Beispiele von Zimmerstücken, wie aus dem 14.Jahrhundert bis in das 17 Jahrhundert hinein. Doch hier, im Intimismus, werden, in impressionistischer Manier, detailgenaue Szenen aus dem häuslichen Bereich, aber auch dem außerhäuslichen, wie dem Garten, dargestellt. Immer in der Stimmung besonderer Ruhe .Um zwei Namen zu nennen: Èduard Vuillard oder Pierre Bonnard. Bei Édouard Vuillard, lautete ein Titel zum Beispiel: Interieur mit Misia Natanson am Klavier, 1897/98 Das sind die Bildthemen. Mit einer Vorliebe für Flächenmuster, die sich über das ganze Bild legen, erhalten die Bilder oft eine stark ornamentale Wirkung.. Das Interesse der Maler galt jedoch maltechnischen Fragen und Fragen der Farbgebung, wie sie der Impressionismus aufwarf. 
Es ist einfach toll, dass man zu dieser Zeit, also gegen Ende des 19. Jahrhunderts, eine aufeinander aufbauende Entwicklung der Malerei, auch Bildhauerei beobachten kann. Noch immer spüren manche von uns die Sehnsucht nach einem Weg, einer Entwicklung, die viele teilen. Heute ist es viel komplizierter zu verfolgen auf welches Bild welche Arbeit reagiert. Eins ist klar: ruhige Zeiten im Zusammenhang mit Kunst gab es nie. Es gab Auffassungen, die erweitert wurden, es gab Schulen, gegen die revoltiert wurde.
Und da sind wir beim Impressionismus, dem wir ja schließlich das auf eigene neue Weise dargestellte Interieur verdanken
Der Begriff „Impression“ stammt aus dem Französischen und taucht in einer Kunstausstellung genau 1874 in Frankreich auf. Ein Bild von Claude Monet von 1872 trägt den Titel: L'impression, soleil levant. Soleil levant ist die aufgehende Sonne. Impression bedeutet der Abdruck, der Anschein, der Ausdruck, der Eindruck, das Gefühl, das Stimmungsbild.
Das war revolutionär. Aha. Nicht mehr Natur-Nachahmung setzt der Künstler ins Bild, sondern sein Seherlebnis. Es ist eine Revolte gegen die bis dahin übliche akademische Malerei. Nicht mehr dunkeltonige formale akademische Malerei, sondern helle, lichtvolle Farben, lebensfroh, genussfreudig. Der Pinselstrich ist kleinteilig. Man geht raus in die Natur und malt, dank Tubenfarben, vor Ort. Die Entwicklung der Fotografie befreit vom Abbild und inspiriert zu Bildausschnitten, wie sie Schnappschüsse bieten. Man ist subjektiv. Diese Auffassung von Bildproduktion entsteht in einem Zeitgeist, der sich auf die Fahnen schreibt: „ein Künstler ist sein eigener Herr, eigener Herr auf dem Kunstmarkt? Geht das? ein Künstler muss in seiner Zeit verwurzelt sein wie ist denn unsere Zeit? Wer hat welche Wurzeln? Hat wer überhaupt noch Wurzeln? Malen ist eine gegenständliche Kunst, die sich nur mit dem realen, dem Sichtbaren beschäftigt, niemals mit dem, was nur in der Vorstellung existiert was ist dann Phantasie?

Sehen ohne Vorbilder? Geht das? Schönheit liegt in der Natur und offenbart, einmal vom Künstler erkannt, ihre eigene Ausdruckskraft.“ So formulierte Gustav Courbet seine Maxime. (wikipaedia) Soviel zu Frankreich.
In Deutschland werden andere Akzente gesetzt. (Kunsthalle Bielefeld: Deutscher Impressionismus) Weniger leicht, dafür ernsthafter, geschlossenere Bildformen und andere Inhalte verdeutlichen die Unterschiede. Neben der Natur entstehen Bilder aus der Arbeitswelt nicht so privilegierter Schichten und des Alltags.

In beiden Ländern widmet man sich ausgiebig der Darstellung des selbstbewussten Bürgertums,

dem Familienleben.dem intimen Interieur.
Bei Interieur denkt man unwillkürlich auch an Möbel. Möbel sind ein bewegliches Gut, daher mobil, sie sind nicht an einen festen Standort gebunden. Mobil machen meint nicht Umziehen oder um räumen, auch nicht das Herstellen von schnurlosen Telefonen, sondern meint in Kriegszustand versetzen, marsch-, kampf-, einsatzbereit werden.
Interieur blanc, wobei: nicht ganz weiß. Eher wie beim griechischen Tempel mit dem farbigen Fries am Architrav, da gibt es nämlich Farbe, viel und kräftige Farbe und der große Rest der antiken Tempel, die kunstfertigen Skulpturen und auch die Kleidung waren hauptsächlich weiß . Blanc heißt weiß, rein, sauber.
Mobil: Marsch- kampf- einsatzbereit, Krieg. Ist da Weiß nicht die Farbe der Kapitulation?
Es folgt jetzt keine Kulturgeschichte der Farbe weiß. Nur soviel: Die Auffassungen reichen von: weißes Licht enthält die Summe aller Farben bis hin zu weiß ist eine unbunte Farbe. Weiß ist die Farbe der Trauer. Weiß ist die Farbe der Unschuld. Weiß wie der Schnee, weiß wie das Licht und weiß wie die Wolken im Himmel.Welche Farbe hat eigentlich das Licht? Bei der Skulptur, in der Bildhauerei liebt man Rohstoffe wie Gips, Kalkstein, Porzellan oder Marmor. Licht und Schatten werden hier am vollendetsten deutlich. Selbst bei der farbigen Gestaltung von Büsten oder bei Bauten, die farbig gestaltet werden sollen, ist weiß die Grundlage. Und in der Malerei ist Weiß oft die unbeachtete Grundierung vieler Leinwände.
Was anderes: Man schreibt das Jahr 1946, der II. Weltkrieg ist seit einem Jahr beendet und es gibt ein Manifesto Blanco. Neuanfang wie bei einem weißen Blatt Papier. Es ist von Lucio Fontana. Er ist jetzt schon über 40 Jahre tot. Manch einer von uns kennt seine Arbeiten, in denen er die Leinwand aufschlitzt. Scheinbar brutal ging es nicht um zerstören.

„Das Bild sollte sich zum Raum hin öffnen, sollte Farbe, Klang, Licht und Bewegung in sich aufnehmen. Es müsse eine Synthese von Malerei, Bildhauerei, Musik und Dichtung geben, um die Welt so, wie sie wirklich sei, zu erfassen und deshalb sei eine Abkehr von den herkömmlichen Materialien notwendig. Er wollte Architektur, Skulptur und Malerei miteinander verschmelzen. Die Malerei, zweidimensional, wurde verletzt und hinter der Öffnung konnte man annehmen, lag der unendliche Raum.
Als Maler ging es Fontana um eine raumbezogene Kunst, um neue Raumerfahrung. Ähnlich radikal ein Weggefährte von ihm, Enrico Castelli. Aufgabe der Kunst ist nicht, etwas nachzuahmen. Jedes Werk ist was es ist. Hat seine eigene Realität, ist echt. Er überzieht Nagelreliefs mit Leinwand. Durch die Höhen und Tiefen ergeben sich zarte Grautöne. Auch er geht mit seinen Arbeiten in den Raum.
Ich komme zu der letzten meiner drei Fragen: Wieso reden, wo es doch ums wahrnehmen, betrachten einer Installation geht?
Weil es den klaren, einfachen Weg in eine Richtung nicht mehr gibt, weil es viele unterschiedliche Gruppen gibt, die mit ganz verschiedenen Voraussetzungen und Ansprüchen an Kunst herangehen. Und weil es Konzeptkunst gibt, Kunst, die in einem gedanklichen Zusammenhang steht. Wo der Gedanke Teil der Kunst ist. Und da kann es interessant sein, auch Gedanken zu erörtern.